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Where are we now? Wo stehen wir jetzt? Das fragen wir uns angesichts von Pandemie-Verunsicherung, geopolitischen Umwälzungen und den Bildern der Frauen im Iran im Herbst 2022, die für ihre Rechte auf die Straße gehen. Bilder, die Atrin Madani, Sohn iranischer Einwanderer, besonders beschäftigen. Where are we now? Dies ist auch eine Frage, die sich jede Generation von Jazzmusikerinnen und Jazzmusikern aufs Neue stellen muss. Madani, Jahrgang 1998, hat für sich eine Antwort gefunden, die so klar und präzise ist wie sein Gesang: Was wir gerade am meisten brauchen, ist Ehrlichkeit. Demut. Und Qualität. All das findet sich überreichlich auf dem Debütalbum des Berliners ohne Ost- oder West- davor, ohne Mauern und Grenzen im Kopf, wie der Schauspieler Hans-Jürgen Schatz einmal über den Sänger schrieb.
Madanis Erstling „Where Are We Now?“ ist eine einzige große Liebeserklärung. An die Magie, die entsteht, wenn sich Worte und Melodien zu Erzählungen formen, welche einem einfach nicht aus dem Kopf gehen wollen. „Songs“ nennt man diese Gebilde landläufig. Aber wenn Madani sie mit seinem fabelhaften Quartett singt, werden sie zu cineastischen Seelenpanoramen.
Man hört dem Schöneberger durchaus die intensive Beschäftigung mit Vorgängern wie Frank Sinatra, Mel Tormé, Andy Williams oder Tony Bennett an. Er ehrt die Meister jedoch, indem er sie nicht kopiert, sondern selbstbewusst seinen eigenen Weg geht. Und der führt nicht über die Resterampen des Great American Songbooks oder durch die mit einem verkrampft postmodernen Augenzwinkern bedachten Pop-Charts der jüngeren Vergangenheit. Basierend auf der Klang-Ästhetik einer Norah Jones, einer Diana Krall oder eines Till Brönner widmet sich Madani vielmehr einer handverlesenen Auswahl an Liedern, die im Jazz bislang weitestgehend unbesungen geblieben sind.
Die Rede ist von den exquisiten Erzeugnissen der anspruchsvollen Singer/Songwriter-Kunst der 1970er Jahre, die unter dem Signum „Yacht-Rock“ in der jüngeren Zeit mit Compilation-Serien wie „Too Slow to Disco“ ein erstaunliches Comeback in den Clubs feierte. Songs, die wie geschaffen sind für Madani. Denn ähnlich wie Michael Franks oder Donald Fagen, den beiden Säulenheiligen des ausgefuchsten Seventies-Pop-Rocks, verfügt der junge Berliner über die seltene Gabe, enorm Komplexes federleicht klingen zu lassen.
Zu der Geschichte von „Where Are We Now?“ gehört aber auch die zutiefst persönliche Verbindung, die der Millennial zu den Liedern der Boomer hat – und dabei nebenbei die vermeintlich unüberwindlichen Frontlinien zwischen den Generationen als obsolet erscheinen lässt.
„Everybody‘s Talkin‘“ etwa verfolgt Madani schon seit seiner Kindheit. „Mein Vater ist ein totaler Musikfreak, der Song lief bei uns immer in der Version von Harry Nilsson mit dieser komischen nasalen Country-Stimme“, erzählt der Sänger mit einem Lachen. Für ihre Lesart des Stücks, das durch den Film „Midnight Cowboy“ berühmt wurde, ließen sich Madani, Pianist Christian von der Goltz, Gitarrist Alexander Ruess, Bassist Olaf Casimir und Schlagzeuger Tobias Backhaus von dem hypnotischen Calypso-Groove inspirieren, mit dem Ahmad Jamal seinen Hit „Poinciana“ 1958 auf der Aufnahme „Live at The Pershing“ versehen hatte.
01 Where Are We Now?
02 Things Behind The Sun
03 Everybody’s Talkin’
04 Alone Again (Naturally)
05 Tempted
06 Maxine
07 Brooklyn
08 Fool On The Hill
09 Yellow